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Auszug aus dem Artikel in „die beste Zeit“ Ausgabe 03/2020

Zur Ausstellung out and about, Eröffnung 06.06.2020



Comenius-Jahrbuch

· Presse

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Comenius-Jahrbuch

Textbeitrag von Diemut Schilling über das künstlerische Projekt zur Comeniustagung

im Jahrbuch Band26/2018

Herausgegeben im Auftrag der Deutschen Comenius-Gesellschaft von A.Fritsch, A. Lischewski & U.Voigt

2003 brachte Langnese die Magnum-Edition „sieben Todsünden“ auf den Markt- passend zum ersten ökumenischen Kirchentag in Berlin. Mit den Sorten Wollust, Faulheit, Völlerei, Neid, Habgier, Rache und Eitelkeit gingen so gewissermaßen die „Evergreens“ der Menschheit in entsprechend kontrastierender Kulisse an den Start und nicht jeder konnte damals dem Management in deren Selbstaussage, es handele sich um „das frechste Eis aller Zeiten“, wirklich schmunzelnd beipflichten.

Mit welcher Erzählfigur hätte die „Verblendung“ innerhalb der Mauern des Labyrinths der Welt dem Erzähler wohl den frechen Eiswagen an der Ecke schmackhaft gemacht?

Die Herausforderung für die Studierenden, sich dem Text von Comenius zu nähern, legt im ersten Schritt die generelle Reflektion des Genres Illustration nahe. Die Wortherkunft des Begriffs „Illustration“   (lat. illustrare „erleuchten, erklären, preisen“) wirft dabei buchstäblich ein „Licht“ auf die Vielschichtigkeit der Dimensionen, die sich gestalterisch eröffnen, wenn ein Bild in Reaktion auf eine literarische Vorlage entsteht: Wie viel kann tatsächlich ein Bild einen Text „erklären“ oder gar „preisen“- zudem, wenn die Entstehung der zu illustrierenden Geschichte geschlagene 394 Jahre zurück liegt, in einer für uns nur sehr aufwändig und lückenhaft nachzuvollziehenden Vergangenheit mit einem gänzlich anderen Lebensgefühl?

Wie steht es um das proportionale Verhältnis von textgetreuen Inhalten und eigener Intuition, Interpretation, einer Loslösung von allen vorliegenden Wortbildern zugunsten einer glaubwürdig zeitgemäßen Neuinterpretation?

Der vorliegende Text weckt sowohl in dem bizarren Detailreichtum seiner Erzählweise als auch in der erhaltenen, von Comenius selbst entworfenen entsprechenden Kartographie unmittelbar Assoziationen der Bildproduktionen seiner Vätergeneration: Pate stehen die “ Wimmelbilder“ der Brueghels ebenso wie die bizarren Apokalypsen eines Hieronymus  Bosch – zumal auch Bosch nicht nur den Klerus, sondern alle Stände – ähnlich Comenius- einer bissigen Kritik unterzog.

Mit den heutigen Wimmelbild-Büchern wie beispielsweise„Meine Stadt“ von Ali Mitgutsch aufgewachsen, ist der erzählerische Gottesblick auch der Generation Z vertraut, zumal die Digital Natives sich in Halbaufsichten à la „World of Warcraft“ ohnehin seit Kindesbeinen eloquent bewegen. Naheliegend, auf diesem intuitiven aber schmalen Grat einer Ästhetik zwischen 1623 und 2017 den Zugang zu Comenius mittels eines spielerischen Gemeinschaftswerks mit dem Durchmesser von 300 cm zu finden- in dem übrigens auch das sündhafte Langneseeis seinen reißenden Absatz fände.

Anders die Bildkonzeption in den Gemeinschaftsarbeiten von Beatrice Cron und Diemut Schilling.

Wer kennt sie nicht, den Turm, den Magier, den Gehängten, die Liebenden, Motive des immer skeptisch beäugten und nicht desto trotz ungebrochen populären Kartensatzes?

Permanent schwankend zwischen dem Reiz des Zufalls und dem Glauben an ein Schicksal wird seit Jahrhunderten immer wieder erneut versucht, die Lücke zwischen zwei scheinbar unvereinbaren Prinzipen für einen Moment zu schließen und so endlich doch einen flüchtigen Blick in Fortunas geheimes Blatt zu erheischen.

Ein Kakadu, ein Boxer, eine Torte und ein Badender – auf den 12 Radierungen zu Labyrinth der Welt changieren anstatt Tod und Narr nunmehr Sünden und Tugenden – in alten wie neuen Gewändern, vom Evakostüm bis zum Harnisch. Dazwischen blitzt zwar hier und da Comenius auf: In der Trägheit der Ehe reißen die aneinander geketteten Paare sich gegenseitig in den Abgrund, die Hochmut der Gelehrten führt mit zahllosen Papierkügelchen einen Krieg der Lächerlichkeiten.

Dennoch entspringt alles,was in den Bildern konzipiert, entworfen oder komponiert erscheint, in Wahrheit einem Spiel mit dem Zufall. Ähnlich der écriture automatique bedienen sich die Künstlerinnen Techniken des Zufalls, wie sie schon die Surrealisten ihren Bann zogen: der Motivfindung werden konsequent Schüttungenund Kleckse zugrunde gelegt, deren spontane Interpretation ähnlich dem des Bleigiessens ausschließlich der Assotiation den ortritt einräumt.

Ob morgendliche Traumdeutungen, der heilige Christopherus am Armaturenbrett oder die unzähligen, heimlich aufgehobenen Orakelzettelchen der zur Rechnung hinzu gereichten Kekse chinesischer Restaurants: Die ewige Rivalität von Zufall und Schicksal tobt auch weiterhin da draußen auf dem Schlachtfeld des menschlichen Bangens und Hoffens um einen Sinn und um eine Gestaltbarkeit des eigenen Lebens: Comenius reloaded.